Archiv der Kategorie: Allgemein

Bild-Algorithmen im medizinischen Einsatz: Lübecker Forscher unterstützen Pathologen bei der Krebs-Diagnostik

MevisBild1

Die jungen Leute hier im TZL-Gebäude 2 auf dem Hochschulcampus haben eine Vision: Sie wollen dabei mithelfen, die Krankheit Krebs besser zu verstehen und damit besser behandelbar zu machen. Als Informatiker in  der Projektgruppe Bildregistrierung des Fraunhofer-Instituts „MEVIS“ arbeiten sie daran, mit den Mitteln moderner Bildverarbeitung eine fortschrittliche digitale Pathologie mitzuentwickeln.

Die Lübecker sind dabei in mehrere bundesweite Forschungs- und Förderprojekte eingebunden. Sie gelten in der internationalen Szene der computergestützten bildbasierten Medizin als die führenden Spezialisten für die Bildregistrierung. Das besagt vor allem: Ihre Software-Lösungen können schneller, besser und unkomplizierter als andere dafür sorgen, dass verschiedene digital vorhandene Bilddaten (etwa: Röntgenbilder, MRT-Bilder) eines Patienten (bzw. eines Körper- oder Gewebeteils) zu einem umfassenden und realistischen Gesamtbild virtuell übereinandergelegt und so genauer gelesen bzw. interpretiert werden können.

Für den Bereich der Pathologie und hier insbesondere der Histologie (also der Erforschung krankhafter Veränderungen des Körper-Gewebes) ermöglichen diese Bild-Algorithmen es, die aus einer Gewebe-Entnahme (Biopsie) vorliegenden und eingescannten Gewebe-Schnittbilder automatisch zu analysieren, sodass der Pathologe nun nicht mehr manuell unter dem Mikroskop Zellkerne zählen und klassifizieren muss. Vor allem aber können die für solche Gewebe-Schnitte typischen mechanischen Verformungen rechnerisch korrigiert werden. Bei Bedarf können auch verschiedene Färbungen verschiedener Schnitte oder Gewebearten genutzt werden, die zu einem anschaulichen, real-räumlichen Bild-Muster des kranken Gewebes zusammengesetzt werden. Das ist diagnostisch weit mehr, als es die rein subjektive Erfahrung des untersuchenden Pathologen leisten kann, so umfassend die immer sein mag.

„Der Pathologe erhält für seine Befundung einen viel tieferen und genaueren, realistischeren Eindruck von den Gewebeproben des Patienten als traditionell nur unter dem Lichtmikroskop“, erklärt Judith Berger als Sprecherin der Lübecker Projektgruppe. „Mit dieser hochauflösenden Technologie können wir zudem auch Metastasen entdecken, die noch zu klein für die Auflösung der klassischen bildgebenden Verfahren wie CT oder MRT sind.“ Langfristig, ergänzt die 28-Jährige, werde sich sogar die anspruchsvolle 3D-Rekonstruktion von Gewebe aus hunderten, am Rechner anschaulich kombinierten Schnitten durchsetzen, mit deren Hilfe man auch Wachstumsprozesse von Tumoren besser und individuell modellieren und verfolgen könne.

Warum noch nicht jetzt, wenn doch die Technologie im Prinzip vorhanden ist? – Nun, das ist wie immer eine Frage des Geldes. Bis solche Verfahren aus der Grundlagenforschung in der klinischen Praxis regelmäßig Anwendung finden, wird es wohl noch Jahrzehnte dauern. In der Lübecker Uni-Pathologie gibt es aber immerhin schon einen geeigneten hochauflösenden Scanner. Ansonsten reicht die übliche Hardware-Ausstattung an Kliniken für die Verarbeitung der anfallenden riesigen Datenmengen einfach noch nicht aus, auch wenn die Lübecker Lösungen weit weniger Rechnerleistung beanspruchen als andere.

Auch die Medizintechnik-Industrie entwickelt in diesem Bereich nur langsam praktikable Lösungen für Hard- und Software. „In den USA zeichnet sich aber in vielen Kliniken schon ein Trend zur digitalen Pathologie ab“, meint Projektleiterin Janine Olesch.  Die Lübecker Gruppe hat erste Kontakte aufgenommen zu internationalen Anbietern von Scannern und Archivierungssoftware. „Unsere Algorithmen würden da gut als Plug-in reinpassen“, so die 30-Jährige. – Nun, vielleicht geht es ja dann doch etwas schneller voran als gedacht. Patienten und Pathologen würden das sicher zu schätzen wissen.

(rwe)

Mehr Infos zum Thema Bildregistrierung auf der MEVIS-Website:
http://www.mevis-hl.fraunhofer.de

Lokale Betäubung sicher überwachen

Penno1

Manche Dinge sind so einfach, dass keiner drauf kommt. Sogar in der Medizintechnik. Oder hätten Sie gedacht, dass es für die Überwachung einer lokalen Rückenmarksbetäubung bis vor kurzem weltweit kein geeignetes Gerät gab? Aber jetzt ist es auf dem Markt. Und es kommt vom Lübecker Wissenschaftscampus.

Die Spinal-Anästhesie kommt beispielsweise bei Kaiserschnitt-Geburten und Leistenbruch-Operationen relativ häufig zur Anwendung und wird vom Anästhesisten in der Regel mit wiederholten Kältespraytests recht grob überwacht. Aus Forschungsberichten wird klar, dass über Jahrzehnte viele Experten sich an der Grundidee versucht haben, den regionalen Betäubungszustand eines Patienten genauer zu messen und so besser zu überwachen. Aber für die praktische Anwendung waren alle Messverfahren nach Meinung der Forscher zu ungenau und damit zu unsicher, um daraus ein im OP einsatzbereites Produkt zu entwickeln. Bis die Lübecker Uni-Ärzte Andreas Penno und Ulf Grossmann 2008 auf ihre eigene Idee einer Problemlösung kamen.

Das Prinzip ist einfach: In einer betäubten Körperregion weiten sich die Kapillaren der Haut, die jetzt an dieser Stelle stärker durchblutet und um bis zu drei Grad Celsius (!) wärmer wird. Mit modernen Hautsensoren lässt sich die Temperatur auf bis zu 0,1 Grad genau messen, sodass die Überwachung der fortschreitenden oder nachlassenden Betäubung rein technisch kein Problem darstellen sollte. Man bringt dazu einfach an den geeigneten acht Körperstellen von Fuß bis Kopf die Sensoren an und stellt fest, wo die Temperatur erwartungsgemäß steigt bzw. fällt.

Das einfache Prinzip mit relativ simpler Technik (Sensoren, Monitor) muss allerdings mit äußerst filigranen Steuer-Algorithmen softwareseitig dazu gebracht werden, die im medizinischen Bereich stets geforderte hohe Apparatesicherheit zu erreichen. Insbesondere müssen bekannte Störfaktoren (zum Beispiel sich verändernde Umgebungstemperaturen) mit intelligenter Bioinformatik sicher ausgeschaltet werden. Genau dies gelang nun dem Lübecker Team von GP Medical Instruments mit ihrem Produkt TempSenza.

In der Projektentwicklungsphase konnte mit Unterstützung der UniTransferklinik eine EXIST-Förderung des Bundes in Anspruch genommen werden. Seit der GmbH-Gründung 2011 finanziert sich das Unternehmen mit seinen zurzeit drei (demnächst fünf) Mitarbeitern aus Mitteln einiger deutscher, institutioneller wie privater Investoren. Eineinhalb Jahre später überzeugte jetzt der fertige Prototyp des Gerätes eine internationale Medizin-Vertriebsfirma, es in ihr Programm aufzunehmen. Nun beginnt also das Verkaufsgeschäft.

Den Gründern schweben derweil schon weitere Produkte zur Überwachung von Regionalanästhesien anderer Körperregionen (etwa des Herzbereichs) vor. Das Prinzip funktioniert; die Patente sind angemeldet. Die Entwicklung geht weiter.

 (rwe)

Technologie-Blog Lübeck, Folge 3: Neurogenetiker gegen Parkinson

Uni-Neurogenetiker-klein

Die Lübecker Uni-Neurogenetiker auf dem langen Weg zur individuellen Behandlung von Parkinson

Seit vielen Jahren reden die Medizin- und Pharmabranchen weltweit von der Medizin der Zukunft als tatsächlich individualisierter Behandlung und Medikation. Noch ist der Fortschritt in diese Richtung langsam. Aber am Lübecker Uni-Institut für Neurogenetik hat man sich aufgemacht, einen international beachteten Forschungsbeitrag zu leisten, der insbesondere bei der Behandlung von bestimmten Parkinson-Patienten seine Anwendung finden wird.

Die Hoffnungen für die rund fünf Prozent aller Parkinson-Kranken, deren Krankheitsform mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen ganz bestimmten Gen-Defekt zurückgeht, ruhen auf simplen Hautzellen. Diese werden bereits heute im Lübecker Labor zu Forschungszwecken in Stammzellen und dann speziell zu Nervenzellen umgebaut. Mittelfristig (das heißt in vielleicht fünfzehn oder zwanzig Jahren) verspricht man sich davon eine tatsächlich individuelle Einstellung der bisher für alle Parkinson-Patienten einheitlichen Medikamenten-Therapie – langfristig vielleicht sogar die direkte, individuelle Herstellung genetisch „eigener“ Nervenzellen, die ohne Abstoßungsgefahr implantiert werden könnten. Allerdings müssen für diese Arbeit am Einzelfall die Kosten der genetischen Testung beziehungsweise Zelldifferenzierung noch um ein Vielfaches sinken, bevor die Anwendung im industriell-breiten Maßstab möglich und gesellschaftlich-ökonomisch finanzierbar wird.

Im von der Europäischen Union mit 52 Millionen Euro für fünf Jahre geförderten Verbundprojekt stembancc.org arbeiten die Lübecker Neurogenetiker jetzt erst einmal gemeinsam mit 100 Partnern aus Forschung und Industrie daran, den entscheidenden Vorgang der Umwandlung von Hautzellen in die sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (IPS) methodisch zu standardisieren. Das kleine Lübecker Institutslabor mit seinen 40 Mitarbeitern hat mit Unterstützung der UniTransferKlinik Lübeck immerhin eine Million Euro für die weitere Ausdifferenzierung der eigenen, seit 2009 entwickelten Methode der Zell-Differenzierung erhalten – offenbar hat die Entwicklung in Lübeck international bereits Aufmerksamkeit erregt.

Nach dem mehrstufigen Differenzierungsverfahren sind die IPS „echte“ Stammzellen, die sich in alle möglichen Anwendungen (das heißt: Zellarten) weiterdifferenzieren lassen. Immerhin 150 Zell-Linien liegen in Lübeck vor, davon sind bereits 20 zu IPS entwickelt. Die Lübecker Forscher um die Institutsleiterin Prof. Dr. Christine Klein haben aus diesem Potenzial auch schon ein kleines „Geschäftsmodell“ entwickelt: Sie „machen“ bereits Zellen für andere Forscher, darunter solche Herzzellen wie im kleinen Film unten:

 

(rwe)

Technologie-Blog Lübeck, Folge 2: Kennen Sie snapseed?

snapseed-klein-300x224

Hätten Sie’s gewusst? Googles Erfolgs-App „snapseed“ kommt aus Lübeck.

Kennen Sie „snapseed“? Wahrscheinlich, jedenfalls wenn Sie ein Smartphone haben und gern Ihre Handy- Schnappschüsse bearbeiten und im Social Web teilen. Auf Apple-Geräten ist die Bildbearbeitungs-App inzwischen millionenfach vertreten. Seit das entwickelnde Unternehmen von Google übernommen wurde, gibt es die App auch für das Android-Betriebssystem. Entwickelt wurde die Foto-Wunderwaffe für Amateure in Lübeck.

Die App und die komplexe Technologie dahinter stammen von Nik-Software. Das Unternehmen ist vor allem Profifotografen bekannt als Erfinder von Profi-Bildbearbeitungstools. Nik entwickelt seine Produkte auf dem Lübecker Wissenschaftscampus im TZL-Campus-Gebäude MFC 2. In der Gründungsphase Ende der 1990er Jahre fand sich ein internationales Team um Nils Kokemohr aus Hamburg zusammen. Mit Büros in San Diego, Lübeck und Hamburg trat Nik an, die digitale Revolution in der Fotografie mit intuitiver High-End-Bildbearbeitung mitzugestalten. Die Führung der Entwicklung übernahm der ehemalige Lübecker Informatikstudent Manuel Wille, der den Entwicklungsstandort des Unternehmens in Lübeck aufbaute.

Mit dem Investor Nikon konnte Nik 2006 sein Wachstum beschleunigen und seine Reichweite vergrößern.  Seit September 2012 leuchtet hier nun das blaue Google-Logo vor dem MFC – und drinnen hat die bunte Google-Kultur Einzug gehalten: grüne Türen, vielfarbige Kantinenmöbel, Tischtennisplatte und was sonst noch so zum lässigen Kreativ-Image gehört. Dabei bleibt aber das Lokalkolorit erhalten: Ein Konferenzraum heißt „Sieben Türme“, ein anderer Raum „Buddenbrooks“. Auf diese „Glokalität“ legt Google offenbar Wert. Der Standort Lübeck ist neben Hamburg und München der dritte Standort des kalifornischen Konzerns in Deutschland. Schon jetzt werden ständig weitere Entwickler gesucht, die Softwareentwicklung und Fotografie als Lebensstil und nicht nur als Job verstehen.

Für den Betrachter der MFC-Google-Location bleibt allerdings im Dunkeln, wie viele Millionen Dollar der Software-Riese aus Kalifornien für die rund 70 Lübecker Entwickler auf den Tisch gelegt hat – und welches technologische Geheimnis sich hinter den so erfolgreichen Algorithmen von „snapseed“ verbirgt. Nur so viel wird klar: Diese Algorithmen werden immer „intelligenter“ (ohne den Nutzer zu bevormunden), weil die Entwickler ein sehr tiefes fotografisch-technisches Know-how mitbringen. Mit der App wächst die Kreativität auch und gerade von Amateuren, auch weil eine sehr intuitiv und einfach zu bedienende Bildbearbeitung zur Verfügung steht – mit einer Benutzeroberfläche quasi direkt im zu bearbeitenden Bild, ohne umständliche Menüs, aber mit sehr vielen Möglichkeiten. Man könnte meinen, mit so einem Multi-Tool verfolge Google jetzt das Ziel, aus Knipsern richtige Fotografen zu machen.

(rwe)

Technologie-Blog Lübeck, Folge 1: Lasst Geräte sprechen!

OR-Net2IMG_8304_klein

Lasst Geräte miteinander sprechen! So werden Operationen sicherer.

Es klingt ein wenig nach Star Trek, wenn die Informatiker der Lübecker Uni vom Operationssaal der Zukunft sprechen. Und ist doch schon  Realität.

Wer einmal einen Chirurgen bei der Arbeit gesehen hat, weiß, wie unübersichtlich es im modernen Operationssaal aussieht. Da gibt es blinkende Gerätetürme für allerlei Funktionen, von der anästhetischen Überwachung bis zur Video-Navigation. Der Operateur und sein Team müssen viele einzelne Informationen wahrnehmen und verarbeiten, um die für den Patienten bestmögliche Operationsentscheidung zu treffen. Und dann fehlt manchmal im entscheidenden Moment doch das richtige CT-Bild, weil das Video-System es nicht aus der Patientenakte einspielen kann: Die wird nämlich in einer anderen Software gepflegt.

So etwas kann und wird in Zukunft seltener passieren, denn der medizintechnische Gerätepark lernt so langsam eine gemeinsame Sprache. Wenn die Geräte dann miteinander kommunizieren können, ist es für den Operateur oder einen Techniker am zentralen Steuerpult im OP ein Leichtes, die gewünschten Daten, Fakten und Bilder auf Knopfdruck zur Verfügung zu stellen – oder womöglich auch per Sprachsteuerung wie auf dem Handy oder wie seinerzeit im Science-Fiction-Film in der medizinischen Abteilung des Raumschiffs Enterprise mit Chefarzt „Pille“ McCoy.

Auf dem Lübecker Wissenschaftscampus arbeiten Informatiker der Uni-Institute für Telematik, Software-Technik und Medizininformatik daran, den Geräten die gemeinsame Sprache beizubringen – und dabei die hohen Zuverlässigkeits- und Sicherheitsanforderungen im hoch sensiblen medizinischen Bereich zu erreichen. (Hier könnte ein „Missverständnis“ zwischen den Geräten ja Menschenleben kosten.) Im mit Unterstützung der UniTransferKlinik und des Technikzentrums Lübeck gewonnenen Bundes-Förderprojekt „OR-Net“ (Vernetzung im Operationssaal) entwickeln sie die basale Infrastruktur-Software des Projekts. Das Zauberwort dabei heißt „Web-Services“: Auf der unkomplizierten Basis von IP-Adressen, html und xml können Geräte auf einfache Weise Daten austauschen, wie das heute jeder vom Internet oder Büronetzwerken her kennt. Auch die Datensicherheit ist mit techisch bereits vorhandenen Mitteln (Verschlüsselung, Zertifikate) zu garantieren.

Einige Prototypen gibt es inzwischen bereits, darunter eine Anwendung auf einem Beatmungsgerät eines Lübecker Herstellers. Wenn das OR-Net-Projekt 2015 endet, soll es im Prinzip erstmals einen Industriestandard für die softwareseitige Vernetzung im OP geben. Das wäre schön: gut für den Operateur, der es leichter hat, gut für den Patienten, für den die Operation (noch) sicherer wird – und gut für die Hersteller, die sich auf diese Software-Standardisierung bei der Entwicklung von Geräten und Anwendungen verlassen können.

(rwe)