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Eine Sache des Vertrauens

Die beiden Herren am Mikroskop sind echte Spezialisten. Bundesweit gibt es kaum 15 freie Labore, in denen ausschließlich Gewebeproben der Haut auf krankhafte Veränderungen untersucht werden. Eines davon arbeitet an sechs Tagen in der Woche auf dem Lübecker Hochschulcampus daran, Hautärzten aus der ganzen Republik möglichst eindeutige Laborergebnisse zu den eingesandten Proben ihrer Patienten zu liefern.

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Jeden Tag landen an die 200 Fälle in den Eingangskörben des Dermatohistologischen Einsendelabors Lübeck von Christian Rose (rechts im Bild) und Stefan Bartsch im dritten Multifunktionscenter-Gebäude. Beide sind Hautärzte mit Schwerpunkt Histologie, Rose zudem Pathologe. Sie kennen sich aus der ein paar Jahre zurückliegenden gemeinsamen Arbeit an der Lübecker Uniklinik. Seit 2010 betreiben sie in Praxisgemeinschaft das Labor, das in wenigen Jahren zu einer wichtigen Größe für niedergelassene und in Kliniken tätige Hautärzte geworden ist.

„In unserem Fachgebiet geht es um etwas Langfristiges, nämlich um Erfahrung und um Vertrauen“, erklärt der 50-jährige Rose den Erfolg der beiden Gründer. Und der 1971 geborene Bartsch ergänzt: „Zuallererst kommt es darauf an, dass man über viele Jahre umfassende Lernerfahrungen in der klinischen Labordiagnostik sammelt, am besten angeleitet von einem erfahrenen ärztlichen Vorbild. Denn nur so erarbeitet man sich den klaren Blick für eine schnelle und sichere Befundung.“ Und wieso Vertrauen? Das, so meinen die beiden Gewebeexperten, gewinne und erhalte man von den ärztlichen Kollegen, wenn man fast fehlerfrei arbeite und zudem immer für Nachfragen und Befunddiskussionen erreichbar sei. „Es geht immer um Menschen, letztlich um Verantwortung für die Patienten. Da muss man schon etwas Einsatz bringen, wir sind ja schließlich Dienstleister“, betont Rose.

Solchen persönlichen Einsatz bringen in diesem Speziallabor nicht nur die beiden Chefs. Über 20 Voll- und Teilzeitkräfte sorgen dafür, dass die Labormaschine technisch und logistisch rund läuft, darunter allein 13 Medizinisch-Technische Assistentinnen. Sie erstellen aus den eingesandten Gewebeproben in einem mehrschrittigen Laborprozess mit modernsten Maschinen die extrem dünnen Gewebeschnitte, die dann von den Ärzten untersucht und befundet werden. „Solche Schnitte zu machen, ist eine Kunst. Ich könnte das nicht“, lobt Rose. „Und das oft morgens um halb sieben, auch am Samstag, damit wir ab acht Uhr mit dem Mikroskopieren beginnen können, sodass möglichst noch am selben Tag ein Ergebnis erzielt wird und der Patient so schnell wie möglich Klarheit bekommt.“

Der Bedarf an solcher engagierter Labordienstleistung wächst weiter. „Die Vorsorgeuntersuchung auf Hautkrebs hat sich in den letzten Jahren durchgesetzt. Und die Krankheit selbst ist leider auch weiterhin auf dem Vormarsch“, weiß Stefan Bartsch zu berichten. Man überlege daher, wie man die eigenen personellen Ressourcen weiter aufstocken könne. „Die Kontakte hier auf dem Campus helfen uns dabei“, erläutert Christian Rose. „Wir haben hier zum Beispiel eine hochqualifizierte MTA gefunden, die jetzt Molecular Life Sciences studiert und ihr Studium durch die Mitarbeit bei uns im Labor finanziert. Ein Glücksfall für alle Beteiligten!“

(rwe)

Info: http://www.dermatohistologie-luebeck.de

Die Zukunft der Darmkrebs-Diagnostik mit Biochips aus Lübeck

Darmkrebs ist eine Massenerkrankung. Jährlich werden weltweit über eine Million Neuerkrankungen registriert. Ein Forscherteam von der Lübecker Uni arbeitet daran, in absehbarer Zeit diesen Krebs leichter und früher zu diagnostizieren und damit die Heilungschancen deutlich zu verbessern.

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Prof. Habermann bereitet mit seiner Mitarbeiterin Katja Klempt-Gießing einen Biochip für das maschinelle Auslesen vor.

Jens Habermann leitet die Sektion für Translationale Chirurgische Onkologie und Biomaterialbanken an der Klinik für Chirurgie. Der 43-Jährige hat es sich zur Aufgabe gemacht, Diagnosemethoden zu entwickeln, mit denen im Blut von Patienten schon sehr kleine Mengen bestimmter Eiweiße gemessen und als Hinweisgeber für bestimmte Tumoren („Biomarker“) ausgewertet werden können. „Wir haben in jahrelanger Forschungsarbeit jetzt die ersten geeigneten Marker-Eiweiße für das häufige Darmkrebs-Karzinom gefunden“, erklärt der Professor, der vor 20 Jahren in Lübeck studiert hat und 2006 als international erfahrener Forscher hierher zurückkehrte. „Die gegenwärtig noch laufenden Testreihen an über 1000 Blutproben zeigen schon gute Ergebnisse, was Spezifizität, also Treffgenauigkeit, und Sensitivität, also Empfindlichkeit, der Marker angeht.“

Aber zum marktfähigen Produkt eines Biochips für den verbreiteten Laboreinsatz sei es noch ein weiter Weg, meint Habermann. „Wir brauchen sicher noch zehn Jahre für umfassende Studien und Tests, aber dann haben wir ein Biochip-Serienprodukt, das genauer misst als der heute verbreitete Blut-im-Stuhl-Test und wegen des kostenmäßig tragbaren Laboreinsatzes für Reihenuntersuchungen geeignet ist.“ Denn das ist die Vision des Forschers wenigstens für Deutschland: ein über die Krankenkassen finanziertes Darmkrebs-Screening mit der Eiweiß-Methode. Die für den Betroffenen relativ aufwendige Darmspiegelung bliebe dann nur noch für Fälle nötig, bei denen ein schon konkreter Verdacht bildgebend bestätigt oder widerlegt werden müsste – oder bereits detektierte gutartige Tumoren entfernt werden sollen. „Auch für die spezifische Detektion von solchen so genannten Polypen haben wir bereits spezielle Eiweiß-Marker gefunden“, so Habermann.

Ein aktuell wichtiges Projekt auf dem Weg zur Anwendung dieser Forschungsergebnisse in der Labor- und Patienten-Praxis ist eine von der Europäischen Union geförderte Kooperation des Lübecker Teams mit dem irischen Diagnostika-Hersteller Randox. Dabei geht es vor allem darum, weitere Marker-Eiweiße zu finden und dann auf einem Biochip zum Auslesen im Labor so unterzubringen, dass möglichst verschiedene Tumor-Varianten in einem Testdurchgang identifiziert werden können. „Prinzipiell haben wir bewiesen, dass unsere Methode mit den bereits patentierten Antikörpern funktioniert. Jetzt wollen wir uns gemeinsam auf den möglichen Routine-Einsatz im Labor zubewegen“, erläutert der Krebsforscher. Dazu soll der zu entwickelnde Biochip möglichst auch noch weitere Krebsarten detektieren können. Nach Habermann sind die Aussichten gerade auch für das bisher praktisch nicht rechtzeitig erkennbare Bauchspeicheldrüsen-Karzinom nicht schlecht. Auch hier sei ein Antikörper-Patent in Vorbereitung. „Am Ende stelle ich mir für die Patienten vor, dass diese Biochip-Laboruntersuchung im Rahmen eines Check-ups beim Hausarzt einfach mitgemacht wird und man das Ergebnis in wenigen Stunden hat“, blickt der Forscher in die Zukunft.

(rwe)

Info: http://www.chirurgischeforschung-luebeck.de/Forschung/forschung.html

Die Stromlückenfüller vom Lübecker Hochschulcampus

Alles noch ganz neu hier. Der achte Multifunktionscenterbau auf dem Hochschulcampus ist praktisch fertig. Draußen wird an den Außenanlagen noch gebaut, drinnen ziehen Elektriker Strippen. Alles noch in Arbeit. Aber eine kleine Firma ist schon eingezogen: H-TEC Systems mit ihren zurzeit zwölf Mitarbeitern, von denen viele an der hiesigen Fachhochschule ausgebildet wurden. In der noch ziemlich geräumigen H-TEC-Produktionswerkstatt entstehen bereits die ersten Geräte für die Stromversorgung der Zukunft.

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Uwe Küter arbeitet an der Zukunft dezentraler Energieversorgung mithilfe von Wasserstoffspeichern wie dem Modell EL30.

Das große Thema von H-TEC ist die Speicherung von Energie mithilfe von Wasserstoffgas. „Das energiepolitische und energietechnische Problem ist bekannt, das ging mir schon im Studium auf“, erklärt Geschäftsführer Uwe Küter (52) dem Besucher: „Erneuerbare Energien wie Windkraft stehen zur Stromerzeugung im Prinzip zwar dauernd zur Verfügung. Aber leider kann man die jeweils momentane Nachfrage nicht ohne Weiteres mit dem produzierten Angebot synchronisieren.“ Mit anderen Worten: Der Wind weht, wann er will, und man braucht in Phasen geringerer Nachfrage Energiespeicher, aus denen bei höherer Nachfrage die Energie wieder abgerufen werden kann. „Stromlückenfüller“ nennt der Physiker Küter das.

Seit acht Jahren entwickelt H-TEC eine Technologie, die diese Aufgabe erfüllen kann und jetzt im Prinzip serienreif ist. Die Technologie heißt „PEM-Elektrolyse“. Als Elektrolyse bezeichnet man in der Chemie die Aufspaltung einer Verbindung unter Einsatz von elektrischer Energie. In unserem Fall wird so mit dem zufließenden Strom Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff getrennt. Dies geschieht in Elektrolysezellen an einer speziellen Membran, der PEM (Polymer Electrolyte Membrane). Der so entstehende Wasserstoff kann dann in Tankbehältern unter hohem Druck und damit auf relativ wenig Raum gespeichert und bei Bedarf wieder zur Erzeugung von Strom eingesetzt werden (sofern man nicht gleich eine Wasserstofftankstelle damit betreiben will).

„Unser besonderes Know-how“, erläutert Küter, „betrifft vor allem die Bipolarplatten, mit denen die gestapelt-zusammengesetzten Elektrolysezellen so verbunden werden, dass die Wasserversorgung, der Gastransport und die Stromleitung gleichmäßig funktionieren und die Module die Temperaturen von 60 bis 80 Grad Celsius und den hohen Arbeitsdruck aushalten.“

Das erste serienreife Produkt von H-TEC heißt „EL30“. Die „30“ steht für den Druck in Bar, das „EL“ für Elektrolyseur. So ein Modul kann je nach Auslegung (Anzahl der Zellen, Aufbau der Betriebsumgebung mit Wasserversorgung, Stromwandler etc.) bis zu 18 Kilowatt Strom in Wasserstoff umwandeln. „In einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt arbeiten wir daran, bis Mitte 2016 eine Modellanlage zu bauen, die sogar ein Megawatt verarbeiten kann“, so Küter.

Zurzeit gäbe es Erfolg versprechende Industriekontakte in der Energiewirtschaft. Und mit dem H-TEC-Mehrheitsgesellschafter GP Joule bauen die Lübecker Stromlückenfüller gerade eine integrierte Modellanlage am Firmensitz in Reussenköge bei Husum auf. Hier soll erstmals ein Blockheizkraftwerk bis zu 30 Prozent mit Wasserstoff betrieben werden, während die abfallende Wärme zur Heizung von Gebäuden und zum Betrieb der hauseigenen Biogasanlage eingesetzt wird.

(rwe)

Info: www.h-tec.com/de/systems

Navigations-App für den Campus

So praktisch kann das Ergebnis einer Studienarbeit an der Lübecker Uni sein: Zwei junge Informatik-Studenten haben eine App entwickelt, die Patienten und Studierende schnell und einfach zu den Einrichtungen und Firmen auf dem Klinik- und Hochschulcampus führt.

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Michael Hackmann (links) und Patrick Zenker bei der Arbeit an der neuen App (auf dem Monitor)

„Catch Up“ heißt die neue „App“ (Anwendung) für Smartphones und Tablets mit dem Android-Betriebssystem, die im Google Play Store kostenlos verfügbar ist. Sie ist das Ergebnis eines gemeinsamen Praktikumsprojektes von Michael Hackmann (27) und Patrick Zenker (25), Masterstudenten im letzten Semester mit den Schwerpunkten Medizininformatik bzw. Robotik.

Studierende, erklärt Zenker, seien zwar durchaus in der Lage, sich nach einiger Zeit auf dem Campus zurechtzufinden. „Aber bei den Neuankömmlingen sieht das schon anders aus. Und erst recht bei Patienten und Besuchern, die ja nicht so oft hier sind. Deshalb wird unsere App gebraucht.“ Und Hackmann ergänzt: „Über die reine Navigation zu den Einrichtungen auf dem Campus hinaus kann die App auch bei Veranstaltungen und Events eingesetzt werden, auch über die Grenzen des Campus hinaus Richtung Stadt mit ihren Restaurants, Bars und so weiter. Das ist für uns Studenten sehr interessant.“ Die Generation Smartphone lese die Mails und Blog-Ankündigungen der vielen Institute und Firmen auf dem Campus und auf den Websites von Veranstaltern in der Region kaum, aber das Mobiltelefon mit den vielen Google-Apps sei immer an. Da würde sich die neue App auch als integrierender Informationskanal bald bewähren.

Das technische Prinzip der App ist relativ einfach: Es werden diverse Zieldaten mit Geo-Koordinaten in einer Excel-Tabelle hinterlegt. In der Startversion sind rund 250 Ziele auf dem Campus eingepflegt, darunter diverse Kliniken und Firmen. Wenn ein Anwender ein Ziel in der App auswählt hat, fragt das hauptsächliche App-Skript die Navigationsdaten auf einem Google-Maps-Server ab und zeigt dann in Google Maps den geeigneten Fußweg an. Eine anschließende Live-Navigation darf gemäß Google-Geschäftsbedingungen nicht in der App selbst geschehen. Die Nutzung der Google-Daten ist bis zu 4000 Zugriffe im Monat kostenlos, danach lizenzgebührenpflichtig.

Die jungen Informatiker haben mit dieser App noch viel vor. „Wir haben mit Unterstützung des GründerCube hier auf dem Campus ein Konzept zur Unternehmensgründung mit diesem Produkt ausgearbeitet“, verrät Michael Hackmann. „Dabei geht es vor allem um das Thema Vermarktung, die auch zu Einnahmen führt“, erläutert Patrick Zenker. Unter den Studierenden werde sich die kostenlose App sicher schnell verbreiten. Parallel richte sich das Angebot aber auch an Gastronomie und Veranstalter in Lübeck, innerhalb der App gegen Gebühr orts- und eventbezogene Info- oder Werbehinweise zu schalten. Aber auch große Kliniken und andere für Besucher schwer überschaubare Gebäudebetreiber gehören zur Zielgruppe.

Mittel- und langfristig sehen die beiden Entwickler ihre App an vielen deutschen Hochschulen und Kliniken im Einsatz. „Sie ist einfach zu verwenden und zu pflegen, auch für größere Hochschul- und Klinikstandorte als Lübeck“, erklärt Hackmann. Für Hochschulen selbst soll die App stets kostenlos bleiben. Für die Werbepartner aus der studentennahen Szene der Hochschulstädte sollen überschaubare Preismodelle entwickelt werden. „Für den Zugang zur jeweiligen Szene brauchen wir natürlich Partner vor Ort. Die bekommen dann eine attraktive Provision“, erläutert Zenker einen Teil des zukünftigen Geschäftsmodells.

(rwe)

Info/Kontakt: www.catch-up-now.de

Video auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=-Ot_LsOmswo

Erfolgsfaktoren fürs Engineering: Spaß und Kultur

Ingenieure sind doch immer wieder für eine Überraschung gut. Gefragt nach den hauptsächlichen Erfolgsfaktoren des Engineering-Dienstleisters „HotSwap“ antwortet der Geschäftsführer: „Spaß und Kultur.“

Das muss dann doch erklärt werden. Schließlich ist die Entwicklungsarbeit für große Kunden insbesondere aus der Medizintechnik-Industrie doch in erster Linie von viel technologischem Know-how und jeder Menge Erfahrung geprägt, oder? Rainer Landich nickt. Aber worauf es ankomme, sei das „schwedische“ Klima, das unter den Mitarbeitern und in den Kunden-Projekten herrsche. „Bei uns steht der Spaß ganz oben im Werte-Leitbild. Wir glauben an die Eigenmotivation von Menschen. Und wir stellen nur Mitarbeiter ein, die eine große Freiheit im eigenen Kopf und eine positive, soziale Grundeinstellung mitbringen. Wir brauchen – und finden immer wieder! – echte technologische Problemlöser, keine Entwicklungsbeamten.“

Carrera-Rennbahn fürs Labor

Hot-Swap-Engineering-Projekt: „Carrera-Rennbahn“ fürs Labor (Foto: Wurzbach)

Das Engineering- und Consulting-Unternehmen mit schwedischen Wurzeln gibt ist in Deutschland seit 2006. Aus dem kleinen Gründerteam sind inzwischen im Gesamtunternehmen über 100 mitwirkende Ingenieure aus den Bereichen Software, Mechanik und Elektronik geworden, ein knappes Drittel von ihnen weiblichen Geschlechts. Im TZL-Campus-Gebäude im Hochschulstadtteil erfreuen sich 20 Mitarbeiter an der „schwedischen“ Unternehmenskultur des persönlichen Kennens, der heterogenen Teams und der flachen Hierarchien mit ganz kurzen Wegen. Die kurzen Wege schätzen die Hot-Swapper auch auf dem Lübecker Hochschulcampus. Hier engagiert das Unternehmen sich in Projekten mit verschiedenen Instituten, zum Beispiel im Bereich Medizingerätevernetzung. „Wir arbeiten gerne mit Praktikanten und Absolventen aus Lübeck. Und wir unterstützen die neue Fab-Lab-Idee des TZL, eine neue High-Tech-Werkstatt einzurichten, in der vom Schüler bis zum Doktoranden und Gründer verschiedene Menschen produktnahe Erfahrungen in Industrie 4.0 machen können“, erzählt Landich.

Und was bedeutet nun der ungewöhnliche Firmen-Name? „HotSwap“ heißt auf deutsch so viel wie „Austausch im laufenden Betrieb“, oft bezogen etwa auf Wechselfestplatten im PC-Bereich. Für Rainer Landich, den promovierten Elektrontechnik-Ingenieur aus dem Ruhrgebiet, sagt dieser Name aus, dass das Unternehmen sehr flexibel auf die speziellen Anforderungen seiner Kunden in allen Phasen der Entwicklung und des Lebenszyklus eines Produktes eingeht. „Und wenn im Projekt mal überraschend neue Ressourcen gebraucht werden, finden wir unter unseren Leuten immer einen, der das spezielle Know-how und ein passendes Zeitfenster mitbringt.“ Dabei würden die Mitarbeiter – anders als in der „deutschen“ Überstunden-Kultur – stets dazu angehalten, statt neuer Mehrarbeitsstunden auf andere Mitarbeiter-Ressourcen zurückzugreifen. „Denn“, so der 50-Jährige, „wir haben eine umfassende ethische Verantwortung nicht nur für unsere Kunden und insbesondere die medizintechnischen Produkte, sondern auch für unsere Mitarbeiter. Wie gesagt: Spaß-Kultur ist nichts Negatives, sondern leistungs- und einstellungsfördernd. Unser anhaltendes Wachstum gibt uns Recht. So haben wir in 2013 allein in Deutschland rund 40 High-End-Aufträge  umgesetzt.“

Das sind Projekte, die oft an der Spitze der technologischen Entwicklung arbeiten und für den Kunden am Markt Alleinstellung schaffen. Ein aktuelles „Bonbon-Projekt“ gibt Landich in Umrissen preis. So konnte für den Laborausstatter und -dienstleister GLP aus Hamburg eine Laborstraße weiterentwickelt werden, die im Projekt gern als „Carrera-Rennbahn fürs Labor“ bezeichnet wurde. Hier ging es insbesondere darum, neue Robotik-Module und eine zentrale Software-Steuerung zu implementieren. Der Kunde ist laut Landich hoch zufrieden. „Und die Mitarbeiter dort freuten sich über unsere lockere Art, die sie in anderen Projekten mit externen Partnern nicht so gewohnt waren. Erfolgsfaktor Mensch halt“, grinst der überzeugte HotSwapper Landich.

 (rwe)

Mehr Infos: www.hotswap.de

Die Boston-Lübeck-Connection für bessere Augen-Untersuchungen

Informatiker und Psychologen aus Boston und Lübeck entwickeln eine (noch) kleine Firma im Hochschulstadtteil, die sich auf die Entwicklung neuartiger Augen-Tests spezialisiert hat.

AST-Team

Das Lübecker AST-Team (von links: Manuel Wille, Michael Dorr, Tiberiu Viulet) neben einem Prototypen des Sehtest-Systems

Den vereinbarten Interview-Termin hätte Michael Dorr beinahe verpasst. „In meinem inneren Kalender war noch Boston-Zeit“, lacht der 36-Jährige in Lübeck promovierte Informatiker, der jetzt zwischen Nordamerika und Norddeutschland pendelt. Seine Firma, die Adaptive Sensory Technology (AST) GmbH, hat soeben ihren Sitz in einem der TZL-Campus-Gebäude im Hochschulstadtteil genommen. „Wir haben hier die nötigen Rahmenbedingungen, um mit hoch qualifizierten Mitarbeitern von der Uni weiter zu wachsen und die Firma zu entwickeln“, erläutert Dorr.

An den Algorithmen für seine Produktidee hat er als „Lübecker Post-Doc“ an der Harvard Medical School zusammen mit einem Team aus Informatikern, Psychologen und Neurowissenschaftlern jahrelang gearbeitet. „Immer mehr Menschen sind vom schleichenden Sehverlust zum Beispiel im Alter betroffen.“, meint der Seh-Wissenschaftler. „Je früher eine Veränderung des Sehvermögens erkannt wird, desto besser sind die Behandlungschancen.“

An dieser Stelle setzt das Untersuchungsverfahren von AST an. „Der herkömmliche Buchstaben-Lesetest beim Augenarzt konzentriert sich ausschließlich auf die Erfassung des Schärfe-Sehens des Patienten, wobei auf die Buchstabengröße abgehoben wird“, erklärt Dorr. „Die im Alltags-Sehen so entscheidende Kontrast-Empfindlichkeit des Auges wird nicht untersucht, obwohl es dafür seit 30 Jahren im Prinzip geeignete Tests gibt.“ Diese Verfahren hätten sich in der Praxis nicht durchsetzen können, so Dorr, weil sie zu zeitaufwändig und als einzelne Untersuchung zu wenig aussagekräftig seien. Erst das neue Verfahren sei in der Lage, in Minutenschnelle hoch präzise und aussagekräftige Ergebnisse für die alles entscheidende Kombination aus Größen- (Schärfe-) und Kontrast-Sehen zu liefern. Es arbeitet „adaptiv“, passt sich also an den Augen-Zustand des jeweiligen Probanden softwaregesteuert sehr schnell an und optimiert sich so selbst. Die ungewöhnlich geformten Buchstaben, die der Proband hier zu sehen bekommt, verändern sich nach einem bestimmten System, mit dem neben der Geschwindigkeit auch die Genauigkeit der Messung gegenüber älteren Verfahren deutlich erhöht wird. Die Algorithmen laufen dabei auf einem leistungsfähigen Rechner, während die Bedienung über ein handliches Tablet erfolgt.

AST hat inzwischen Prototypen des Mess-Systems bei Partnern in Forschungseinrichtungen und Krankenhäusern in den USA aufgebaut. In Deutschland finden derzeit Gespräche mit Industriepartnern aus den Bereichen Pharma und Augenheilkunde statt. „Es ist für die industrielle Forschung und Entwicklung, etwa für eigene Studien mit Patienten vor der Zulassung von Medikamenten, hoch interessant, schnell und präzise messen zu können. Zum Beispiel um Nebenwirkungen rechtzeitig und klar erkennen zu können“, erklärt Dorr.

Parallel arbeitet AST an der Optimierung der Bedientauglichkeit des Systems und an der Zulassung nach den gesetzlichen Bestimmungen für den medizinischen Bereich in den USA und in Deutschland. „Dabei werden wir weiterhin allerhand lernen“, meint der Wieder-Lübecker und Neu-Geschäftsmann. Für die eigentliche Business-Entwicklung hat er seinen alten Bekannten aus dem Lübecker Informatik-Studium als Geschäftsführer an Bord geholt: Manuel Wille (39) hat bereits in Lübeck und Kalifornien eine Software-Company zum internationalen Erfolg geführt und engagiert sich jetzt wieder neu im medizintechnischen Feld, das ihm besonders am Herzen liegt. „Mit Technologie die Lebensqualität von Menschen positiv beeinflussen zu können, ist  eine neue und dankbare Erfahrung“, betont Wille.

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Die Entwickler-Helfer

Ein Informatiker-Team der Lübecker Uni hilft den Software-Entwicklern in Industrie und Kliniken dabei, die tatsächlichen Bedürfnisse der späteren Nutzer schon im Prozess der Produktentwicklung zu berücksichtigen.

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„Nokia ist daran gescheitert.“ Professor Michael Herczeg (rechts im Bild) vom Institut für Multimediale und Interaktive Systeme der Universität zu Lübeck (IMIS) nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um sein Spezialthema geht: Software-Ergonomie, also die Bedien- und Gebrauchstauglichkeit von Geräten, die über Softwareanwendungen gesteuert werden. „Beim Mobiltelefon, heute: Smartphone, kennt das jeder“, erläutert Herczeg das Problem der Hersteller: „Der Benutzer möchte immer komplexere Aufgaben mit dem Gerät erledigen – aber dafür nicht extra ein Bedienstudium machen müssen. Das Gerät muss sich weitgehend selbst erklären. Die Entwickler arbeiten derweil fleißig und technisch erfolgreich ihre Anforderungs- und Funktionslisten im traditionellen industriellen Entwicklungsprozess ab, aber die realen Nutzerbedürfnisse werden nur am Rande erfasst oder beliebig interpretiert.“ Nokia, so meint der Ergonomie-Experte, habe nach sehr erfolgreichen und für die damalige Zeit auch guten Produkten einfach zu lange gewartet, ob die Touchscreen-Euphorie seit Apples iPhone nicht doch irgendwann vorbei geht. Das geschah nicht, das Gegenteil war der Fall, weil es seitens der Benutzer und Käufer längst neue Erfahrungen und Erwartungen gab. Die Nokia-Telefone funktionierten zwar nach wie vor technisch gut. „Aber keiner wollte sich mehr mit einer Tastatur durch die wenigen Anwendungen klicken. Viele Anwender kauften dann massenweise Geräte aus Südkorea, wo Apples Design schnell für breitere Käuferschichten aufgegriffen und adaptiert worden war. So kann ein Innovations- und Marktführer schon mal einbrechen“, analysiert Herczeg, „einfach weil er seine Zielgruppen und deren Usability-Wünsche nicht genau genug bestimmt und bedient hat. Wenn man dann erst einmal zu spät dran ist, ist es sehr schwer, seine Kundschaft und deren Vertrauen wiederzugewinnen.“ Mit Blick auf den Sieger im Wettbewerb fügt der Experte lächelnd hinzu: „Übrigens ist selbst das iPhone nicht in jeder Hinsicht besser, aber es war zum richtigen Zeitpunkt aus Sicht der Käufer und Benutzer die Lösung inklusive der persönlichen Identifikation mit dem Produkt und das ist letztlich entscheidend für den Erfolg.“

In Sachen „Usability“ macht dem Lübecker IMIS-Team so schnell keiner etwas vor. In den vergangenen fünf Jahren haben die Fachleute des Instituts unter Herczegs Leitung eine modular aufgebaute Software entwickelt, die weltweit einmalig ist. Sie hilft den Software-Entwicklern in Industrie und Kliniken dabei, die Nutzer mit ihren Erwartungen frühzeitig in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. Der Lübecker Werkzeugkasten trägt den sprechenden Namen „UsER“, Usability Engineering Repository“. Es stellt dem Entwickler systematisch und voll integriert alle Informationen, die er für bestmögliche Anwenderorientierung braucht, unter einer einfach bedienbaren Browser-Oberfläche zur Verfügung: Benutzereigenschaften, Organisationsstrukturen, Aufgabenstellungen, Arbeitsabläufe, Nutzungsszenarien, Wünsche, Ideen, Konzepte, auch gesammeltes Feedback und Diskussion. Dazu gehören beispielsweise auch standardisierte und validierte Ergonomie-Fragebögen für anvisierte Nutzer, mit deren Hilfe Kunden-Umfragen umsetzbare Ergebnisse und Bewertungen erzielen und nicht beliebig interpretiert werden können.

Das Lübecker Tool ist auch für Anwendungen in der Medizin bereits im Testeinsatz. „Dort weiß man, wie wichtig nutzerorientiertes Design ist. Es geht hier um Sicherheitsvorteile, um schnelles, richtiges Reagieren in kritischen Situationen – im OP ebenso wie auf der Intensivstation. Man hat da einfach keine Zeit, auf dem Bedien-Display herumzusuchen“, erklärt Professor Herczeg. Das Usability-Thema werde noch immer unterschätzt. „Aber wie das Beispiel aus der Mobilgeräteindustrie zeigt: Als zentrales Verkaufsargument bei relativ gleicher technischer Leistungsfähigkeit wird unser Thema immer bedeutsamer. Hersteller unterscheiden sich heute kaum mehr in der Produktfunktionalität, aber erheblich in der Gebrauchstauglichkeit und Erlebnishaftigkeit ihrer Produkte. Unser UsER-Entwicklungssystem ist vor allem auch in der Medizintechnik geeignet und wird ständig modular erweitert. Zurzeit arbeiten wir unter anderem an einem integrierten Design-Styleguide.“

(rwe)

Weitere Infos auf der Website des Instituts: http://www.imis.uni-luebeck.de/de/forschung/user-usability-engineering-fuer-softwaresysteme-oeffentlichen-verwaltungen

Sagt der eine Sensor zum anderen…

 

… „Wach auf, wir müssen arbeiten!“ Und schon schreckt der andere aus seinem Dämmerzustand hoch und kommuniziert für einige Millisekunden mit seinem anfragenden Kumpel im Drahtlos-Netzwerk, um die aktuell wichtigen Messdaten auszutauschen. Dann schläft er weiter – bis er ein paar Sekundenbruchteile später wieder kurz aufhorcht, ob da irgendein Netzwerk-Kumpel was mitzuteilen habe. Und so geht das den ganzen Tag, ja ganze Jahre weiter. Und wenn ihnen nicht der Batteriestrom ausgegangen ist – was praktisch nie passiert, weil ihr speziell programmierter Schlaf-Wachrhythmus kaum Energie verbraucht – so funken sie noch heute.

Blog 15 Nr.1

Carsten Buschmann beim Anschluss eines Drucksensors an die Funkeinheit

So „märchenhaft“ kann man es sich vorstellen, wenn Carsten Buschmanns „WSNs“ bei der Arbeit sind. Die drei großen Buchstaben stehen für „Wireless Sensor Networks“, also für Netzwerke von Sensoren, die eigentlich sehr kleine Computer-Module mit speziellen Funktionalitäten und mit eingebauter Drahtlos-Kommunikationsschnittstelle sind. Buschmann ist Geschäftsführer der coalesenses GmbH im Lübecker Hochschulstadtteil, die solche flexiblen, frei skalierbaren Sensor-Netz-Modulsysteme entwickelt und produziert.

Der 37-Jährige hat 2009 am Institut für Telematik der hiesigen Universität promoviert und sich dann als Uni-Ausgründer selbstständig gemacht. Heute sind bei Coalesenses fünf Mitarbeiter beschäftigt. „In Lübeck entwickeln wir für Kunden und testen neue Module. Produktion und Vertrieb finden über Partnerunternehmen in der ganzen Bundesrepublik statt“, erläutert der Informatiker sein Business-Konzept. Im Sommer dieses Jahres will das Lübecker Team so weit sein, dass für die meisten Sensor-Typen und Sensor-Schnittstellen auf dem Markt ein passendes Netzwerk-Modul von coalesenses in kürzester Zeit geliefert werden kann. „Unsere Module haben jetzt einen jahrelangen Testungsprozess hinter sich, jetzt ist die Hauptentwicklungsarbeit getan. Wir haben vier Hauptmodul-Typen mit jeweils mehreren Schnittstellen im Angebot, mit denen praktisch jeder Kunde sofort loslegen kann“, freut sich Buschmann.

Die teilweise nur zigarettenschachtelgroßen Produkte aus Lübeck sind bereits in Hunderter-Stückzahlen in verschiedenen Museen des Landes im Einsatz, wo sie automatisch und wartungsfrei insbesondere Temperatur- und Feuchtigkeit in den Räumen mit wertvollen Exponaten überwachen. Die Sensor-Daten werden von einem dafür zuständigen Modul über eine Intranet- oder Internetverbindung an ein Auswertungsportal  (im Web oder auf einem lokalen Computer) und an eine Speichereinheit geschickt, die beide zum Netzwerk-Produktsystem aus Lübeck dazu gehören.

Ein anderes Beispiel für den Einsatz solcher drahtloser Sensoren-Netzwerke ist aktuell im Kreis Segeberg zu besichtigen:  Im Rahmen eines Projektes für die Bundesanstalt für Straßenwesen testet die coalesenses GmbH mit Projektpartnern dort gerade das Potenzial der System-Module aus Lübeck für die Überwachung von Brücken: „Der Kunde misst mit unseren Modulen etwa Neigungsbewegungen des Materials und die Veränderung von Rissen. Wenn man solche automatischen Mess-Systeme dauerhaft montierte, ständen dem verantwortlichen Statik-Prüfer objektive Messdaten über längere Zeiträume zur Verfügung und er könnte entsprechend leichter entscheiden, wann was in der Brückenpflege zu tun ist.“ Ein so bekanntes Unglück wie der Einsturz des Daches der Eislaufhalle in Bad Reichenhall 2006 wäre mit einer einfachen Funk-Sensor-Überwachungsanlage im Wert von vielleicht 2000 Euro möglicherweise verhindert worden, meint der Vernetzungsprofi aus Lübeck. „Anwendungsgebiete für unsere Systeme sehen wir in den Bereichen Sicherheit, Bauwerksüberwachung, Energiemanagement, Prozesssteuerung und -überwachung.“

(rwe)

Blog 15, Nr.2

Elektronik-Ingenieur Torben Hiller bei der Montage eines Internet-Modems zur Brückenüberwachung in Bad Segeberg

Weitere Infos:

http://www.coalesenses.com/index.php/products/solutions/wireless-data-acquisition/

Sicherer Auto fahren mit computerunterstützter Blicklenkung

BlicklenkungEBWer hätte sich nicht schon einmal gewünscht, mehr als zwei Augen und am besten gleich ein Rundum-Gesichtsfeld zu haben? Beim Autofahren in Lübeck zum Beispiel, wenn man in letzter Sekunde den im Dunkeln ohne Licht in den Lindenteller hineinrasenden Radfahrer mehr ahnt als sieht und gerade noch bremsen kann. Forscher am Institut für Neuro- und Bioinformatik der hiesigen Universität arbeiten daran, es Autofahrern leichter zu machen, mehr wahrzunehmen, als die „natürlichen“ visuellen Systeme Auge und Gehirn zunächst erlauben. Dieses Forschungsgebiet heißt „Gaze Guidance“, also Blick-Lenkung oder Aufmerksamkeitssteuerung, bezogen auf den für den Menschen so wichtigen visuellen Sinn.

Erhardt Barth, stellvertretender Direktor des Instituts, erklärt den theoretischen Ausgangspunkt seiner Arbeit so: „Das Gehirn konstruiert in jedem Augenblick eine bestimmte eigene Wirklichkeit. Die ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt einer anzunehmenden objektiven Gesamtwirklichkeit.“ Im Falle des Sehens, sagt Barth, nähmen wir stets nur wahr, was sich gemäß unserer Erfahrung oder im Rahmen einer bewussten Fokussierung im Augenblick als für uns relevant erweist. Vor lauter Fokussierung kann es schon mal vorkommen, dass man als Film-Zuschauer in einem berühmten Wahrnehmungsexperiment den Mann im Gorilla-Kostüm regelrecht „übersieht“, der da zwischen den Basketball-Spielern durchs Bild läuft, deren Würfe man zählen soll. (Link zum Film: http://www.youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo)

Zum Glück ist es laut Barth aber inzwischen möglich, den Seh-Sinn mit technischen Hilfsmitteln zu erweitern und zu trainieren. „Die Neuroinformatiker verstehen inzwischen ganz gut, wie neuronale Netze Muster bilden und so unsere Wahrnehmung erzeugen. Wir Ingenieure kommen auf dieser Basis langsam dahin, Systeme bauen und programmieren zu können, die das Gehirn des Menschen unmittelbar-unbewusst anzusprechen vermögen und ihm so dabei helfen, den schmalen bewusst wahrgenommenen Ausschnitt der Wirklichkeit technisch zu verbreitern. Das geschieht auf der unbewussten Ebene, ohne dabei die normal-bewusste Wahrnehmung zu stören“, erläutert der 54-jährige Professor. Im Beispiel des vom wilden Radfahrer überraschten Autofahrers am Lindenteller wäre es inzwischen wohl möglich, dem von einer Innenkamera überwachten Fahrer-Blick hilfreiche Informationen aus dem Blickfeld einer oder mehrerer Außenkameras unauffällig hinzuzufügen. Wenn der Bordcomputer den Radfahrer als Gefahr erkannt hat, kann er zum Beispiel eine kleine Leuchtdiode am Armaturenbrett aufblitzen lassen, die den Blick des Fahrers unbewusst so lenkt, dass er den Radler nun doch wahrnehmen kann.

Von einem solchen System baut ein großer deutscher PKW-Hersteller gerade einen Prototypen. Mit einem solchen neurovisuellen Assistenzsystem käme es gar nicht erst zum Stress-Bremsen am Lindenteller – und insgesamt zu weniger Unfällen. So jedenfalls die Vorstellung der Informatiker, die weiter an Systemen einer „augmented vision“ (eines angereicherten Sehens) arbeiten. Auf einem Auto-Simulator hat Barths Team mit Situationen wie im Bild oben bereits überzeugende Versuchsergebnisse erzielt: Die mit dem „augmented vision“-Unterstützungssystem fahrenden Probanden bauen hier deutlich weniger simulierte Unfälle als die ungestützte Kontrollgruppe.

Auf der Basis der in den vergangenen Jahren gewonnenen Erkenntnisse entwickeln die Lübecker Forscher nun auch Trainingsmaschinen etwa für wahrnehmungskritische Berufe wie Fluglotsen. Eine andere sich abzeichnende Anwendung ist eine Leseunterstützungstechnik für Legastheniker, deren Hauptproblem ihre abgelenkte Aufmerksamkeit ist. Wie beim Autofahren geht es hier darum, eine optimale Fokussierung der Aufmerksamkeit zu unterstützen.

(rwe)

Wer ist Rolling Jack? – Ein Offshore-Held aus Lübeck

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Über der Nordsee weht der Wind oft ziemlich kräftig, insbesondere weiter draußen, auf hoher See. Dort drehen sich seit Jahren schon die Flügel von Windkraftanlagen. Die meisten davon werden von englischer und niederländischer Seite betrieben. Aber auch auf deutschem Gebiet sind inzwischen Offshore-Anlagen mit zusammen über 500 Megawatt Leistung in Betrieb. Die Bundesregierung zielt auf 25000 Megawatt bis 2030 und erteilt entsprechende Genehmigungen. Hier tut sich ein großer Zukunftsmarkt auf, nicht nur für die Hersteller der Anlagen, sondern auch für die Reedereien, die kleine, schnelle Serviceschiffe verchartern, mit denen die Wartungstechniker zu den Anlagen transportiert werden.
Eine Innovation aus Lübeck sorgt zukünftig dafür, dass die Sicherheit der Wartungscrew beim Andocken und Übersetzen auch bei rauem Nordseewellengang deutlich erhöht wird. Der neue Offshore-Wartungshelfer heißt „Rolling Jack“. Es handelt sich um eine vollautomatisch, stabilisierte Zugangs- und Arbeitsplattform aus Kohlefasern am Heck einer neuen Generation von Servicebooten. Der Kern des „Rolling-Jack“ besteht jedoch in einem ausgeklügeltem Zusammenspiel der hydraulischen Aktuatoren und der elektronischen Lageregelung, gesteuert von mehreren Industrierechnern . Mehrfach redundante Sätze von Kreisel- und Beschleunigungssensoren und den entsprechenden Lagerückmeldern ermöglichen es, bis zu drei Meter hohe Wellen so auszugleichen, dass die Service-Techniker ohne bedrohliche Kletter-Improvisationen auf die Außenleiter am Anlagenturm gelangen können und auch Werkzeug und Ersatzteile nicht auf Nimmerwiedersehen in den Fluten versinken.
„Mit einem passenden Serviceboot wird das ein richtig interessantes Gesamtsystem“, erklärt Stefan Schulz, der geschäftsführende Gesellschafter der Lübecker Baltec Ship Design GmbH. Eine weitere Innovation ist die Entwicklung eines neuartigen, aus dem Flugzeugbau adaptierten Leichtbaumaterials aus faserverstärktem Kunststoff , das er für den Bau von Schiffen adaptiert hat. „Nach zehn Jahren harter Arbeit fahren jetzt die ersten unserer Leichtbau-Serviceschiffe mit halbiertem Gewicht und halbiertem Brennstoffverbrauch als vergleichbare Aluminium-Boote. “
(rwe)