Archiv für den Monat: September 2013

Lokale Betäubung sicher überwachen

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Manche Dinge sind so einfach, dass keiner drauf kommt. Sogar in der Medizintechnik. Oder hätten Sie gedacht, dass es für die Überwachung einer lokalen Rückenmarksbetäubung bis vor kurzem weltweit kein geeignetes Gerät gab? Aber jetzt ist es auf dem Markt. Und es kommt vom Lübecker Wissenschaftscampus.

Die Spinal-Anästhesie kommt beispielsweise bei Kaiserschnitt-Geburten und Leistenbruch-Operationen relativ häufig zur Anwendung und wird vom Anästhesisten in der Regel mit wiederholten Kältespraytests recht grob überwacht. Aus Forschungsberichten wird klar, dass über Jahrzehnte viele Experten sich an der Grundidee versucht haben, den regionalen Betäubungszustand eines Patienten genauer zu messen und so besser zu überwachen. Aber für die praktische Anwendung waren alle Messverfahren nach Meinung der Forscher zu ungenau und damit zu unsicher, um daraus ein im OP einsatzbereites Produkt zu entwickeln. Bis die Lübecker Uni-Ärzte Andreas Penno und Ulf Grossmann 2008 auf ihre eigene Idee einer Problemlösung kamen.

Das Prinzip ist einfach: In einer betäubten Körperregion weiten sich die Kapillaren der Haut, die jetzt an dieser Stelle stärker durchblutet und um bis zu drei Grad Celsius (!) wärmer wird. Mit modernen Hautsensoren lässt sich die Temperatur auf bis zu 0,1 Grad genau messen, sodass die Überwachung der fortschreitenden oder nachlassenden Betäubung rein technisch kein Problem darstellen sollte. Man bringt dazu einfach an den geeigneten acht Körperstellen von Fuß bis Kopf die Sensoren an und stellt fest, wo die Temperatur erwartungsgemäß steigt bzw. fällt.

Das einfache Prinzip mit relativ simpler Technik (Sensoren, Monitor) muss allerdings mit äußerst filigranen Steuer-Algorithmen softwareseitig dazu gebracht werden, die im medizinischen Bereich stets geforderte hohe Apparatesicherheit zu erreichen. Insbesondere müssen bekannte Störfaktoren (zum Beispiel sich verändernde Umgebungstemperaturen) mit intelligenter Bioinformatik sicher ausgeschaltet werden. Genau dies gelang nun dem Lübecker Team von GP Medical Instruments mit ihrem Produkt TempSenza.

In der Projektentwicklungsphase konnte mit Unterstützung der UniTransferklinik eine EXIST-Förderung des Bundes in Anspruch genommen werden. Seit der GmbH-Gründung 2011 finanziert sich das Unternehmen mit seinen zurzeit drei (demnächst fünf) Mitarbeitern aus Mitteln einiger deutscher, institutioneller wie privater Investoren. Eineinhalb Jahre später überzeugte jetzt der fertige Prototyp des Gerätes eine internationale Medizin-Vertriebsfirma, es in ihr Programm aufzunehmen. Nun beginnt also das Verkaufsgeschäft.

Den Gründern schweben derweil schon weitere Produkte zur Überwachung von Regionalanästhesien anderer Körperregionen (etwa des Herzbereichs) vor. Das Prinzip funktioniert; die Patente sind angemeldet. Die Entwicklung geht weiter.

 (rwe)

Technologie-Blog Lübeck, Folge 3: Neurogenetiker gegen Parkinson

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Die Lübecker Uni-Neurogenetiker auf dem langen Weg zur individuellen Behandlung von Parkinson

Seit vielen Jahren reden die Medizin- und Pharmabranchen weltweit von der Medizin der Zukunft als tatsächlich individualisierter Behandlung und Medikation. Noch ist der Fortschritt in diese Richtung langsam. Aber am Lübecker Uni-Institut für Neurogenetik hat man sich aufgemacht, einen international beachteten Forschungsbeitrag zu leisten, der insbesondere bei der Behandlung von bestimmten Parkinson-Patienten seine Anwendung finden wird.

Die Hoffnungen für die rund fünf Prozent aller Parkinson-Kranken, deren Krankheitsform mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen ganz bestimmten Gen-Defekt zurückgeht, ruhen auf simplen Hautzellen. Diese werden bereits heute im Lübecker Labor zu Forschungszwecken in Stammzellen und dann speziell zu Nervenzellen umgebaut. Mittelfristig (das heißt in vielleicht fünfzehn oder zwanzig Jahren) verspricht man sich davon eine tatsächlich individuelle Einstellung der bisher für alle Parkinson-Patienten einheitlichen Medikamenten-Therapie – langfristig vielleicht sogar die direkte, individuelle Herstellung genetisch „eigener“ Nervenzellen, die ohne Abstoßungsgefahr implantiert werden könnten. Allerdings müssen für diese Arbeit am Einzelfall die Kosten der genetischen Testung beziehungsweise Zelldifferenzierung noch um ein Vielfaches sinken, bevor die Anwendung im industriell-breiten Maßstab möglich und gesellschaftlich-ökonomisch finanzierbar wird.

Im von der Europäischen Union mit 52 Millionen Euro für fünf Jahre geförderten Verbundprojekt stembancc.org arbeiten die Lübecker Neurogenetiker jetzt erst einmal gemeinsam mit 100 Partnern aus Forschung und Industrie daran, den entscheidenden Vorgang der Umwandlung von Hautzellen in die sogenannten „induzierten pluripotenten Stammzellen“ (IPS) methodisch zu standardisieren. Das kleine Lübecker Institutslabor mit seinen 40 Mitarbeitern hat mit Unterstützung der UniTransferKlinik Lübeck immerhin eine Million Euro für die weitere Ausdifferenzierung der eigenen, seit 2009 entwickelten Methode der Zell-Differenzierung erhalten – offenbar hat die Entwicklung in Lübeck international bereits Aufmerksamkeit erregt.

Nach dem mehrstufigen Differenzierungsverfahren sind die IPS „echte“ Stammzellen, die sich in alle möglichen Anwendungen (das heißt: Zellarten) weiterdifferenzieren lassen. Immerhin 150 Zell-Linien liegen in Lübeck vor, davon sind bereits 20 zu IPS entwickelt. Die Lübecker Forscher um die Institutsleiterin Prof. Dr. Christine Klein haben aus diesem Potenzial auch schon ein kleines „Geschäftsmodell“ entwickelt: Sie „machen“ bereits Zellen für andere Forscher, darunter solche Herzzellen wie im kleinen Film unten:

 

(rwe)